Mit
Ponpoko hat dieses Mal Studio Ghibli einen schönen Tierfilm abgeliefert, von dem hauptsächlich die Kinder begeistert sein werden, wenn sie die knuffigen Gesellen über den Bildschirm springen sehen und wie sie ihre zauberhaften Kunststückchen vollführen.
Den Eindruck könnte man zumindest haben, wenn man sich die ersten 5 Minuten so anschaut. Der Schein trügt natürlich, wie so oft im Leben. Dies ist ein Erwachsenenfilm, und selbst Erwachsene werden dem Geschehen wohl kaum folgen können, wenn sie nicht wesentliche Grundkenntnisse der japanischen Mythologie mitbringen. Es wird zwar schon alles angesprochen und erklärt, was hier geschieht, gerne mal im launigen pseudowissenschaftlichen Stil, dennoch ist es kein Fehler, etwas über japanische Geister und übersinnliche Phänomene zu wissen, speziell aber über Marderhunde (Tanuki) und Füchse (Kitsune) und welche Eigenschaften ihnen
nachgesagt werden.
Im Kern geht es hier um Mensch contra Natur. Die menschliche Zivilisation breitet sich aus und die Natur wird im Gegenzug zurückgedrängt. Anfangs findet Regisseur
Takahata dafür Bilder, die lustig anmuten, weil sie die Brutalität und Rücksichtslosigkeit des Kahlschlags verdecken. Man mag das für zeittypisch halten (das Gelände um die Tama-Berge bei Tokyo wurde
Ende der 60er Jahre bebaut), dürfte heutzutage aber immer noch ähnlich ablaufen, wenn es auch Bemühungen gibt, der Natur mehr Raum zu geben, und die Gesetzeslage sich etwas geändert hat.
Späterhin ist es dann nicht mehr ganz so lustig und der Tod zieht schmerzhafte Schneisen in die Reihen der pelzigen Waldbewohner – und spätestens hier dürfte für viele Kinder das Ende der Fahnenstange erreicht sein. Ganz davon abgesehen, daß sie den Ereignissen dazwischen kaum werden folgen können. Das schaffen ja auch viele Erwachsene nicht, wie man erfahren kann, wenn man sich mal durch die Kommentare verschiedener Websites klickt.
Entgegen dem etwas Comic-haften Stil ist der Film sehr differenziert, wechselt mehrfach die Stil- und Erzählebenen, und das meist recht subtil, ohne direkt ein Werturteil auszusprechen oder moralische Standpunkte zu vertreten. Dies bleibt der Intelligenz des Zuschauers überlassen (der es dem Film aber nicht immer dankt).
Stellvertretend für alle Leidtragenden des menschlichen Expansionsdrangs treten hier die Tanuki auf den Plan und beschließen, sich gemeinsam ihrer Haut zu erwehren. Dabei werden verschiedene Möglichkeiten diskutiert, und mal verhelfen sie zu kurzfristigem Erfolg, mal endet es in einem Fehlschlag auf ganzer Linie. Der Grund liegt vor allem darin, daß sie zum einen die Auswirkungen und Konsequenzen ihres Handelns nicht realistisch einschätzen können, zum anderen in der Unkenntnis der menschlichen Natur.
Das zieht sich praktisch durch den ganzen Film, und auch am Ende ist keine wirkliche Lösung in Sicht, bestenfalls ein Arrangieren mit einer Situation, auf die sie selbst keinen Einfluss haben. Also gibt es nicht nur kein Gut-Böse, es gibt im Grunde genommen auch keine Helden, kein Happy End und keine eindeutig formulierte idealistische Botschaft. Denn das, worauf es ganz am Ende hinausläuft, ähnelt doch zu sehr dem Märchen der "Bremer Stadtmusikanten". Die zwar ihrem Schicksal des Ausgemustert-Werdens entkommen, die Räuber mit fiesen Tricks in die Flucht schlagen (und somit ein Haus besetzen, das ihnen nicht gehört), aber am Ende nicht einmal Bremen erreichen – geschweige denn gegen ihr Schicksal (alt und gebrechlich werden) ankommen können.
Auch hier in
Ponpoko werden anfängliche Erfolge enthusiastisch gefeiert, dann aber macht sich eine gewisse Ernüchterung breit, als sie aus den Nachrichten erfahren, daß es auf Seiten der Menschen Tote gegeben hat. Noch mal: was ist gut und böse, was ist richtig und falsch? In dieser Gemengenlage verhält es sich bei den Tanuki nicht viel anders als beiden Menschen. Die Ansichten sind sehr unterschiedlich, langsam formieren sich verschiedene Gruppen, Putschversuche werden unternommen.
Und das ist der zweite Vorteil der vermenschlichten Darstellung (der erste ist schlicht der, nachvollziehbare
Personen zu haben, fühlende, denkende, handelnde Wesen statt einfach bloß Tiere): Tanuki sind nicht uneingeschränkt gut und Menschen nicht uneingeschränkt schlecht (sozialdarwinistische Sichtweisen mal ganz außen vorgelassen). Die Viecher sind ja nicht mal imstande, eine gewisse Selbstdisziplin zu üben und das mit dem Nachwuchs fürs Erste sein zu lassen, solange die Ernährungsfrage nicht geklärt ist. – Und da, wo der Siedlungsraum knapp wird und der Populationsdruck hoch, dringen Tiere natürlich auch in den Lebensraum von Menschen ein und marodieren im besten Fall ein wenig im Müll herum, um was Essbares zu ergattern. Nicht anders verhält es sich hier.
Das allgemein eher ambivalente Verhältnis von Tanuki und Mensch ist die ganze Zeit über natürlich auch ein Thema. Dabei wird das Verhältnis von traditionsgeprägter alter Welt und den Errungenschaften der Moderne moralisch durchaus unkorrekt und mit verschmitzem Humor miteinander verwoben, gerade auf Seiten derer, die unter der Modernisierung am meisten zu leiden haben. Man will einerseits die Menschen vom Hals haben, weil sie eine existentielle Bedrohung darstellen, andererseits mag man auch nicht auf gewisse Errungenschaften verzichten (Tenpura!), und der Zuschauer kommt sich ein wenig vor wie bei »
Life of Brian«, als die (eigentlich rhetorisch gemeinte) Frage auf den Tisch kommt: "Was haben die Römer je für uns getan?"
Dieser differenzierten Erzählweise zugute kommt die oft unvermittelt wechselnde Gestalt der niedlichen Racker in verschiedenste Formen, worin sich wiederum alle Facetten ihres Verhaltens spiegeln: in
Tiergestalt, als
Personen, als Personen mit
menschlichen Attributen (z.B. Kleidung) und als
Menschen – bzw. als das, in was sie sich verwandeln können. Diese Verwandlungen laufen sehr geschmeidig und teilweise sehr subtil ab, genauso wie der virtuose Wechsel von realen Begebenheiten zu irrealen. Sehr viel findet auf symbolischer Ebene statt, und die ausgesprochen variable Bildsprache lässt den Zuschauer an so mancher Stelle im Unklaren, was nun Wirklichkeit ist und was Phantasie.
Es muss eigentlich nicht extra erwähnt werden: das, was hier während knapp 120 Minuten zu sehen ist, bewegt sich auf allerhöchstem Niveau. Das betrifft nicht nur Charaktere und Hintergründe, sondern auch die Bewegungen. Selten hat man so stimmige, so realistische Bewegungsabläufe gesehen wie hier. Auch spätere Animes kommen da nicht heran, nicht einmal mit CGI. Es ist schwer, sich angemessen dazu zu äußern, wenn man absolut keine Fehler finden kann.
Der Film lebt aber auch von der Verschränkung von Vergangenheit und Gegenwart, von Tradition und Moderne, und dem folgt auch die Musik, wo traditionelle Tonsprache durchsetzt ist mit modernen Elementen.
Insgesamt gesehen ist also
Ponpoko ein ziemlicher Wechselbalg aus dem Hause Ghibli. Er behandelt ernste Themen, nimmt sich aber selbst nicht allzu ernst. Er beleuchtet die Situation, in der sich die Tanuki befinden, mit kindisch-hintergründigem Humor, verweigert aber eine wunderbar idealistische Antwort und liefert stattdessen ein Schein-Happyend. Er bietet angesichts der Uneinigkeit brillante an Slapstick grenzende Comedy-Einlagen, und endet letztlich als Tragikomödie. Und überhaupt: Wie solch eine Geschichte im echten Leben ausgehen kann, zeigt recht anschaulich das Vordringen der Bleichgesichter auf dem amerikanischen Kontinent.
Für Menschen, die ihr Weltbild mit klaren, moralisch wertvollen Botschaften tapeziert sehen wollen, die eine saubere Zuweisung von Gut und Böse, schuldig und unschuldig brauchen, ist dieser Film eher nicht zu empfehlen.
Ponpoko vereint viel Gegensätzliches und ist alles mögliche, aber sicher nicht das Wort zum Sonntag.
[Edit]PS: Woher haben die eigentlich den Strom für den Fernseher?