Wer im voraus wissen will, welche Art von Serie, welches Feeling, welche Atmosphäre einen bei »Candy Boy« erwartet, sollte auf die Übersicht der
Screenshots gehen und einfach nur die Ausstrahlung und die allgemeine Farbkomposition der Bilder auf sich wirken lassen. Genau so ist tatsächlich auch der Anime.
Wer dann schon die Serie gesehen hat und, wie der Rest der Welt, immer noch nicht draus schlau geworden ist, wieso die ganze Veranstaltung ausgerechnet »Candy Boy« heißt – wo doch nirgends ein Candy und erst recht kein Boy auszumachen ist –, dem kann
Ixs vielleicht weiterhelfen mit dem Verweis auf den Manga, der ein Jahr später rausgekommen ist.
Zunächst gibt es wenig, was einen bei diesem Anime fesseln kann. Die Musik scheint so lala; ganz gut, aber ein wenig gesichtslos. Das Charakterdesign ist zwar etwas hinter der Zeit zurück, um etwa ein halbes Jahrzehnt, aber dennoch sehr rund, sehr warm und ausdrucksstark. Es muss eben nicht alles nach der neuesten Mode gestrickt sein. Die Hintergründe dagegen geben sich überraschend detailliert, in
kräftigen,
warmen Tönen, und sind generell sehr gelungen, wie mit Acrylfarben gemalt.
Aber das, was man an Animation geboten bekommt, ist bestenfalls Durchschnitt. Allerdings wird auch nur das Allernötigste wirklich animiert; man wird förmlich erschlagen von
stills, Personen stehen schonmal minutenlang unbewegt in der Gegend rum, auch wenn sie nach Logik der Situation sich mal bewegen müssten. Das gleiche bei beteiligten Charakteren, die gerade nicht direkt am Gespräch beteiligt sind. – Der
Schneefall allerdings ist händisch animiert, was zwar ein klein wenig ruckelt, aber bedeutend "authentischer" und auch romantischer wirkt als bei der sonst üblichen Methode.
Wie sich im Verlauf der Serie herausstellt, ist »Candy Boy« eigentlich nichts weiter als Slice of Life in Reinkultur. In völliger Abwesenheit jeder Handlung und damit auch jeder Art von Drama. Hardcore-SoL gewissermaßen. Im Mittelpunkt des Nicht-Geschehens stehen die beiden
Zwillingsschwestern Kanade und Yukino; buchstäblich ein Herz und eine Seele, die deutlich mehr füreinander empfinden, als es unter Schwestern sonst so üblich sein mag. Als
Yuri möchte ich das dennoch nicht bezeichnen, zumindest nicht im Zusammenhang mit irgendwelchen sexuellen Konnotationen. Die Beziehung, und somit die komplette Serie, ist so unschuldig, wie man sich das kaum denken mag.
Hardcore ist in dieser Geschichte überhaupt gar nix!
Und das tut dem Anime unglaublich gut. Dazu passt das sehr ruhige Pacing und generell auch der sehr ruhige Humor – abgesehen von den paar Momenten, wo eine der beiden Schwestern ausrastet, und ebenfalls abgesehen von
Sakuya, der kleinen
Stalkerin, die die seltene Gabe hat, schon durch schiere Anwesenheit zu nerven, besonders in ihrer
Obsession bezüglich Kanade, an die sie sich derart Imouto-mäßig klammert, daß man schon in Richtung Verlustangst spekulieren könnte.
»Nonchalant talk of the certain twin sisters in daily life«Das Motto der Serie trifft den Nagel auf den Kopf. Das Erzähltempo gibt sich sehr ruhig und konservativ, auch weil hier kein großer Konflikt um die Ecke lugt. Man nimmt sich Zeit, den verästelten Abhängigkeiten und den manchmal komplizierten Gefühlen in dieser Schwesternbeziehung nachzugehen, gerade mit
Shizuku, der jüngsten, die sich in einer Phase großer Unsicherheit befindet. Das
Menschliche steht im Vordergrund und nicht irgendwas künstlich Aufgeblasenes, insofern passt der etwas altertümliche Zeichenstil perfekt zu der Serie.
Nicht nur das: im Laufe der Serie bemerkt man, daß die anfangs so empfundenen Mängel in der Darstellung sich gar nicht als Mängel herausstellen, sondern vielleicht sogar als Stärke.
Vier Charaktere kennt Anisearch in der Übersicht, und mehr kommt auch nicht vor. Diese Konzentration rein auf die Charaktere lässt die angeblichen Schwächen der Animation und den übermäßigen Gebrauch von
stills als völlig angemessen erscheinen; es verstärkt die Fokussierung aufs Wesentliche und stellt die
Personen in den Mittelpunkt. Und daß die Leute des (mir bisher unbekannt gebliebenen) Studios »Anime International« künstlerisch hochwertig produzieren können, haben sie zu anderer Gelegenheit hier ausreichend bewiesen.
Deswegen stören die statischen Szenen des Zwiegesprächs auch bald nicht mehr, zu dem der lebhafte Dialog in Kontrast steht. Erstaunlich reif und erwachsen agieren die Schwestern, überraschen immer wieder aufs Neue mit ihren etwas fremdartigen, gedankenvollen Abschweifungen. Alles, was man hier erlebt, ist sehr ruhig, sehr geerdet und vor allem durchweg glaubhaft. Eine lange, tiefe Vertrautheit spricht aus jedem Wort und jeder Geste.
Und jetzt passt auch wieder die BGM, SoL-typisch leicht dahinplätschernd, teils etwas jazzig unterfüttert, aber immer auch passend und sehr angenehm zu hören. Ein gewisses Stück erinnert allerdings doch sehr an Joe Jacksons "Cancer" aus seinem Album »Night & Day«. Insgesamt ist das stilistisch für einen SoL ungewöhnlich breit aufgestellt.
Fazit:
Dezente Romantik trifft dezente Comedy.
Die kleine Shizuku ist diejenige, die sich nicht vernachlässigt fühlen möchte und das Treiben der beiden Großen mit ihrem eigenen Blick auf die Dinge kommentiert. Davon abgesehen ist natürlich Sakuya diejenige, die am meisten Aufmerksamkeit beansprucht. Vielleicht der animetypischste Charakter in dieser Show.
Der Anime lebt vom Gegensatz der lebhafteren und kindlicheren Yukino und der ernsthaften, in sich ruhenden Kanade, was in vielen kleinen und gut beobachteten Szenen sehr glaubwürdig und lebendig eingefangen wird. Die tiefe Liebe der beiden Unzertrennlichen ist allerdings rein platonisch. Für den Zuschauer vielleicht schwer vorstellbar, aber mehr als
Händchenhalten und zusammen sich gegenseitig wärmend im Bett liegen ist nicht.
Es gibt noch ein paar Specials. In der ersten
Bonusfolge von »Candy Boy EX« erlebt man Kanade und Yukino beim Einzug in ihr neues Wohnheim, mit dem sie sich sichtlich schwertun. Kanade spricht ihre Zwillingsschwester noch mit "Yuki-nee" an, und es fällt das Statement, das sich durch die gesamte Serie zieht: "Solange du bei mir bist, ist mir alles recht."
Die zweite Folge stellt etwas dar, was man am ehesten noch als Fanservice einordnen könnte, mit viel Pool und Bikini, allerdings unter Abwesenheit von allem, was Fanservice eigentlich ausmacht. Kein Ecchi, kein Voyeurismus.
Zudem wurde ein Jahr vor der Serie »
Side Story for Archive« veröffentlicht, was eine Art Pilotfolge zu sein scheint und in Bezug auf die Serie die Einstiegsepisode darstellt. Diese zuckersüßen 8 Minuten sind brechend voll mit kleinen charakteristischen Skizzen und unterhaltsamen Einblicken in die Persönlichkeit der beiden. Um die Serie besser zu verstehen, sollte man mit diesem Special einsteigen.