Dieser Anime aus der »Yuuwaku Countdown«-Reihe mag vielleicht als Hentai durchgehen, so mit Ach und Krach, ist aber definitiv kein Porno. Mehr ein Geschwisterdrama rund um den Themenkreis Narzissmus, Unterwerfung und Selbstverleugnung, bei dem beide Protagonisten eigentlich auf die Couch gehören.
Dieses dreiteilige »Akira«-Kapitel reiht sich ein in die Animes mit psychologischem Schwerpunkt und einer stark retardierten, symbolisch aufgeladenen Bildsprache, wie sie um die Jahrhundertwende förmlich ins Kraut geschossen sind. Der optische Eindruck erinnert an Bänkelsang: ausdrucksstarke und immer etwas übertrieben dramatische Einzelbilder werden, wie aus dem Off, szenisch kommentiert. Im Grunde genommen also ein Hörspiel. Es dauert seine Zeit, bis sich die Erkenntnis durchsetzt, daß hier nicht der Sparzwang regiert, sondern daß man es mit dem Resultat künstlerischer Erwägungen zu tun hat. Aber nur im Alltag der Charaktere. Bei den Sexszenen weiß man dann wieder, wie man animiert, und das sogar ziemlich gut. So gut, daß man meint, richtigen Sex von richtigen Menschen zu sehen, wo nicht nur die Bewegungen stimmen, sondern auch der Text und all das, was da sinnlich gestöhnt wird, von glaubhafter Natürlichkeit ist.
Sex ist allerdings weniger Teil der Erotik, sondern Teil einer psychologischen Dramaturgie. Mehrfach darf man dabei zuschauen, wie innere Welten zerbrechen. Begleitet von klassischer Musik geborstener Träume, desillusioniert und melancholisch, teilnahmslos und abgeschieden. (Daß das Ending da mit einer französischen Musette aufwartet, irritiert dann einigermaßen.)
Schon früh war die Beziehung von Akira mit seiner großen Schwester eine besondere. Er, der sie uneingeschränkt bewundert und der in späteren Jahren außer ihr keine andere Frau mehr an sich ranlässt, zumindest emotional, und sie, die ihn Schritt für Schritt liebevoll ausnutzt, delikate Versprechen gibt und zum Objekt ihrer subtilen Spielchen macht. Aus Bewunderung wird Obsession und schließlich Aufopferung. Vielen erscheint Akira als das Geschenk der Götter an die Frauenwelt, für ihn jedoch hat das alles keine Bedeutung:
betsu ni otoko de mo onna de mo ii n'da [ist doch egal, ob Mann oder Frau]
docchi mo tada no ana da shi. [bei beiden ist da ein Loch]
lautet sein interessantes Statement. Soviel zur sexuellen Gleichstellung. Abseits des Geschlechtlichen, bei dem der Zuschauer nicht mehr als ein paar formvollendete Brüste zu Gesicht bekommt, weil alles andere in
symbolischen Darstellungen verschwimmt, gibt sich der Anime betont minimalistisch und aufs nötigste reduziert und kann es sich dabei leisten, viel Zeit in die Geschichte selbst zu investieren. Hat man den Draht zu dieser Erzählweise erst einmal gefunden, kann der emotionale
Impact ganz beträchtlich sein.
Nicht immer sind es die Männer, die für gebrochene Versprechen zuständig sind. Als das Schwesterchen von ihrer Auslandreise zurückkehrt und ihre
Begleitung mitbringt, die offenbar mehr als nur eine Bekannte ist, gerät einiges bei Akira ins Wanken. So aus der Bahn geworfen, kommt der
Hobby-Narzisst an Heilig Abend mit der zuvor kalt abservierten
Kaname zusammen, und jetzt endlich kann er ihr das geben, was für ihn das Allerpersönlichste und Ausdruck höchster Intimität ist: sich zu küssen und ihn beim Vornamen nennen zu dürfen.
Anfangs sieht es so aus, als sollte die Handlung in
Europa spielen, aber bald wird klar, daß das eigentlich
nicht sein kann. Bezüge zu christlicher Symbolik und Ikonographie sind reichlich vorhanden, und als Leitmotiv werden immer wieder die Lilien der Unschuld und Reinheit zitiert, die bei dem verhängsnisvollen Wiedersehen der Geschwister am Boden zerschellen und gewissermaßen bei Kaname wieder
auferstehen.
Alles in allem verkörpert also dieser Anime, der kein Hentai sein sollte, das, was man in Fachkreisen so gern diep nennt, ordnet die Handlung (und den Sex sowieso) der psychologischen Disposition unter, ohne jedoch völlig in Fatalismus zu versinken. Denn siehe, es ist Heilig Abend, und als Akira nach vollzogenem Koitus aus dem Fenster schaut, rieselt leise der Schnee vom weihnachtlich verhangenen Nachthimmel.
Zieht der Anime den Zuschauer mit seinem stockenden Erzählstil und dem depressiven Ambiente mit seinen dunklen und gedeckten Farbtönen nach allen Regeln der Kunst zu Boden bis er glaubt, es müsse unausweichlich Tote geben, scheint es in all dieser konzentrierten Tristesse doch noch Hoffnung zu geben. In diesem Detail unterscheidet er sich von ähnlichen Werken wie »
Hitsuji no Uta« oder »
Shimai Ijiri«, die ich einem schwermütig gestimmten Publikum hiermit ans Herz legen möchte. Letzteres allerdings nur, wenn es einem wirklich vor garnix graust.