Das ist er also: Studio Ghiblis vermeintlich letzter Film, da man das Studio nun gänzlich "umgestalten" werde. Der Film ist vom gleichen Regisseur (Hiromasa Yonebayashi), der schon mit "Arietty" bewiesen hat, wie man mit satten Farben umzugehen hat.
Auf der BD gibt es eine nicht ganz uninteressante Dokumentation über die Entstehungsgeschichte des Films, wo der Regisseur zusammen mit einer Synchronsprecherin die im Film portraitierte Landschaft besucht.
Kurze Synopsis: Die an Asthma leidende Anna fühlt sich zu Beginn des Films "außerhalb des inneren Kreises". Sie hat keine Freunde, es bereitet ihr Schwierigkeiten welche zu finden und die Bindung zu Ihrer Familie scheint sie mehr und mehr zu verlieren. Ihre Adoptivmutter schickt sie zu Verwandten aufs Land, um sich den Sommer über gesundheitlich zu erholen. Sie findet ein scheinbar verlassenes Haus, was allerdings von dem mysteriösen Geist Marnie bewohnt wird. Marnie hilft Anna, ihre inneren Konflikte zu lösen und ein Geheimnis zu lüften...
Zum Ton: Ich habe den Film mehrfach auf Englisch gesehen (gute Synchronisation und auch wesentlich besserer Trailer als der deutsche), da ich es nicht abwarten konnte, bis er in Deutschland erscheint. In meiner (mittelgroßen) Stadt bekam der Film damals insgesamt - über seine gesamte Spielzeit - nur zwei Screenings! Leider war ich an beiden Terminen verhindert, weshalb ich den Film nie auf der großen Leinwand mit deutscher Synchronisation sehen konnte. Die Stimmen von Anna und Marnie unterscheiden sich in der deutschen Synchronisation gewaltig von der englischen. Mir gefallen beide, obwohl die englische Anna mehr Tiefgang hat als die deutsche. Ansonsten sind die restlichen Geräusche in der Tongestaltung solide untergebracht und harmonieren sehr gut mit der Musik.
Zum Bild: Erst auf BD kann man sich an den handgezeichneten Hintergründen so richtig satt sehen. Die Detailverliebtheit von "Arietty" ist wieder da! Nahezu jede Großaufnahme kommt einem Gemälde gleich, das man sich am liebsten sofort an die Wand hängen möchte. Die Animationen der Figuren ähneln ebenfalls denen von "Arietty", doch hat man hier bewusst auf den Glanz verzichtet und verwendet auch ansonsten nur eine einfache Schattierung. Besonders herausstechend ist jedoch die Beleuchtung, die sehr stark an Disneys Rapunzel (insbesondere die Nachszenen) erinnert. Alles, was zu Nachtzeiten stattfindet, hat dieses gewisse geheimnisvolle Leuchten. Auf 3D-Elemente wurde weitestgehend verzichtet und wenn sie vorhanden sind, dann sind sie (im Gegensatz zu "Arietty") sehr gut mit der handgemalten Animation verwoben.
Zur Musik:
Ein Ghibli-Film ohne Joe Hisaishi? Wie auch bei "Arietty" funktioniert der Soundtrack von Takatsugu Muramatsu mit seinen "seichten Klängen" sehr gut.
Wer sich für die Produktionsgeschichte des Films interessiert: Es wurden zunächst fünf Suiten geschrieben. Die erste beschreibt musikalisch die Landschaft, das Haus von Annas Verwandten und wird im Film fast 1:1 übernommen. Die zweite Suite beschreibt musikalisch das mystische Haus mit dem guten Geist Marnie und das sich darum befindende Sumpfgebiet. Auch hier wurden viele Elemente direkt im Film wieder verwendet.
Das eigentliche musikalische Hauptthema ist die Suite von Anna, die ihre innere Zerrissenheit perfekt darstellt. Nach einer kurzen Suche auf YouTube findet man die orchestrale Version und die Piano-Version ihres Themas. Leider tritt das Anna-Thema im Film nur sehr selten auf - und wenn doch, dann stark verändert, was Tempo und Intonation betrifft.
Natürlich hat auch der gute Geist Marnie eine eigene Suite erhalten, die ihren Charakter beschreibt. Erst wenn man den Film bis zum Ende gesehen hat, versteht die Marnie-Suite, die zwischen innerer Ruhe, Trauer, Aufruhr, Fröhlichkeit und Romantik hin und her pendelt.
Die letzte Suite bezieht sich auf einen weiteren Charakter, den Anna während ihres Aufenthaltes kennenlernt. Da nichts von dieser Suite im Film verwendet wird, möchte ich nicht weiter darauf eingehen, außer, dass sie den Charakter perfekt beschreibt.
Auf der zweiten CD des Soundtracks sind dann die Hintergrundmusiken enthalten, die 1:1 im Film vorkommen, jedoch ohne die Vorarbeit der fünf Suiten nicht entstanden wären. Möchte man also tiefer in die Charaktere eintauchen, ist es empfehlenswert, sich die fünf Suiten zuvor anzuhören. Am besten, bevor man den Film selbst schaut. So hat man mehr Spaß an der Musik, die im Film selbst eher dezent eingesetzt wird. Es gibt nur 2-3 Stellen, an denen sie wirklich hervorsticht.
Zusätzlich zur Filmmusik wurde ein Album von Priscilla Ahn produziert. Es enthält neben dem Lied vom Abspann (Fine On The Outside) noch weitere, die die beiden Charaktere Anna und Marnie zusätzlich mit gesungenen Wörtern beschreiben. Besonders hervorzuheben ist das Lied "I Am Not Alone", wo die Anna-Suite als Lied mit Worten noch detaillierter auf ihren Charakter eingeht, als es die Suite allein vermag.
Fazit: Warum 5/5 bzw. 10/10 auf IMDB? Der Film erzählt eine untypische Coming-Of-Age-Geschichte basierend auf einer Buchvorlage der Autorin Joan Mary Gale Robinson von 1969, die ich leider nicht gelesen habe. Zu Beginn sieht man die harte Realität und Zerissenheit von Anna und ihre Sorge, nirgends so richtig dazu zugehören sondern nur zu stören. Als dann der gute Geist Marnie erscheint vermischt der Film Traum und Realität absolut famos. Marnies mystisches Auftreten irritiert Anna zunächst, doch als sie sich auf Marnie einlässt, kann sie ihre inneren Konflikte nach und nach lösen. Die ersten 70 Minuten scheint der Film mit einer inneren Ruhe nur so dahinzuplätschern, doch als Zuschauer kann man sich den prachtvollen Bildern satt sehen, die Musik und Charakterentwicklung genießen. Aber die letzten 20 Minuten und der Twist am Ende des Films (gab es jemals einen Twist bei einem Ghibli-Film?) sind eine absolute Wucht und zwar ohne aus dem bisher ruhigen Erzählstil auszubrechen. Anna wird von der Realität wieder eingeholt... mehr möchte ich nicht spoilern. Der Film ist absolut sehenswert und war nicht ohne Grund für einen Oscar nominiert.
Da es nur wenige Kritiken zu diesem Film gibt, möchte ich die Kritik von Chris Stuckmann teilen, die all meine Worte in weniger als fünf Minuten zusammenfassen:
KlickUm die Zukunft des Studios braucht man sich keine Sorgen zu machen: Es wird weiterhin für das Ghibli-Museum Kurzfilme produzieren und arbeitet gerade an einer Fortsetzung zum Spiel "Ni No Kuni" (
Trailer), einem der besten J-RPG der letzten Jahre.